Umgang mit SMA-Patienten in der Gesellschaft

5.    Umgang mit SMA-Patienten in der Gesellschaft

5.1.    Die SMA-Familie

Das Kind wird ohne sichtbare Erkrankung in einer Familie geboren. Es entwickelt sich nicht, wie es der Norm entsprechen würde. Ärzte, Eltern und Angehörige sind zunächst ratlos. Oft vergehen viele Monate, bis die tatsächliche Diagnose gestellt wird. Die Eltern und die nahen Angehörigen sind dann erst einmal durch die schlechte Perspektive der Lebenserwartung geschockt. Sie müssen lernen mit der Krankheit des Kindes zurecht zu kommen. Häufig geschieht eine „Überbetreuung“, da die Eltern Angst haben, ihr Kind zu verlieren. Weil die Kinder in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, sind ihre intellektuellen Fähigkeiten häufig stärker ausgeprägt als bei gleichaltrigen nicht betroffenen Kindern. Zum Beispiel sprechen sie eher in ganzen Sätzen, da sie ja auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Die Bezugspersonen beschäftigen sich mehr sprachlich und mit Bilderbüchern mit den Kindern. In der gleichen Zeit, wo nicht Betroffene vielleicht damit beschäftigt wären, laufen zu lernen oder zum Beispiel Schubladen zu erkunden. Auch durch häufige Arzt und Krankenhausbesuche ist die Beziehung zur nächsten Bezugsperson sehr eng.

Eine immer wiederkehrende Belastung sind Anträge auf teurere Hilfsmittel, wie beispielsweise Elektro-Rollstühle, bei den Krankenkassen. Dies ist durch die Gesundheitsreform noch schlimmer geworden. Aber auch Behördengänge für Eingliederungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Schulassistenz, beanspruchen die Nerven und Ausdauer der kompletten Familie. In den Behörden sind die Beamten durch die ständige Umstrukturierung, ganz aktuell Hartz IV, schlecht informiert und so hat es zum Beispiel ein viertel Jahr lang gedauert bis ein Amt herausgefunden hatte, dass es nicht zuständig war.

5.2.    Kindergarten und Schule

Oft werden die Kinder aufgrund ihrer Behinderung in Sondereinrichtungen betreut. Diese Sondereinrichtungen haben ein größeres Einzugsgebiet. Freundschaften, die dort entstehen, können aufgrund der Entfernung privat nicht so gut gepflegt werden. Meistens handelt es sich um Ganztagseinrichtungen. Das hat zur Folge, dass in der Heimatgemeinde nur wenig Kontakte zu gleichaltrigen Kindern entstehen.

Die meisten Schulen für Körperbehinderte müssen auch mehrfachbehinderte Schüler aufnehmen, wodurch das Leistungsniveau im Unterricht herabgesetzt wird. Der Intellekt der SMA-Kinder kann so nicht gefördert werden. Der Vorteil gegenüber Regelschulen liegt vor allem in der krankengymnastischen und ergotherapeutischen Betreuung, außerdem wird viel Rücksicht auf die körperlichen Belange genommen, weil die Klassengemeinschaft nicht so groß ist.

In meinem Fall war die schulische Unterforderung (in meiner Klasse waren mehrere Schüler mit Lernschwäche) sehr belastend, so dass meine Lehrer mich über die Anna-Freud-Schule informierten. Verbunden mit dem Besuch der Schule war auch die Aufnahme ins Internat. Ein Vorteil ist, dass nun die Freunde in der Nähe sind. Ein Treffen nach der Schule ist möglich, sogar ohne dass meine Eltern dabei sind, die mich sonst ja immer zu meinen Freunden bringen mussten. Durch das Internat habe ich außerdem sehr viel an Selbstständigkeit gewonnen.

5.3.    In der Öffentlichkeit

5.3.1 Beim Einkauf

Als Rollstuhlfahrer passieren einem häufig merkwürdige Dinge. Zum Beispiel als meine Freundin und ich über eine sehr belebte Straße fuhren, kam ein Mann auf uns zu und fragte, ob wir eine Bibel hätten. Er nannte uns zwei oder drei Kapitel, die wir lesen sollten, wir könnten dann die Rollstühle wegschmeißen und „hüpfen und springen wie Kängurus“. Ein anderes Mal wurde mir von einem älteren Herrn eine DM in die Hand gedrückt.

Durch Treppen oder auch nur einzelne Stufen werden Rollstuhlfahrer gebremst, Gänge sind oft sehr eng und mit neuer Ware zugestellt, Aufzüge sind zu klein und Türen zu eng.

In den Geschäften ist immer jemand da, egal ob Kunde oder Verkäufer, der einem hilft, Dinge aus den Regalen zu holen. An den Kassen wird einem auch immer geholfen, das Portemonnaie aus der Tasche zu holen und die Einkäufe im Rollstuhl zu verstauen.

5.3.2 Bei Veranstaltungen

Oft gibt es ermäßigte Eintrittspreise, auch die Rollstuhlplätze liegen meist gut. Auch die anderen Besucher nehmen Rücksicht. Ab und zu muss man sie mal daran erinnern, dass man nicht so gut sieht, weil sie vor einem stehen, dann gehen sie aber auch sofort zur Seite.

In kleineren Hallen gibt es für Rollstuhlfahrer oft einen gesonderten Eingang, auch hierdurch habe ich besondere Erlebnisse gehabt. Zum Beispiel lag der Ausgang für Rollstuhlfahrer bei einem Konzert direkt neben dem Raum, wo die Band nach dem Auftritt kleine Snacks zu sich nahm. Natürlich habe ich durch das Fenster hineingesehen. So kam es, dass ein Bandmitglied zu mir herauskam und mir ein Autogramm gab.

Besuche von Veranstaltungen, auf denen Alkohol verzehrt wird, sind manchmal unangenehm. Es kommt dort schon mal vor, dass Alkoholisierte ihre Hemmschwelle verlieren und ziemlich bemitleidend werden. Sie tätscheln mir dann die Wange oder sagen wie leid es ihnen tut, dass ich an den Rollstuhl „gefesselt“ bin.

5.3.3 Beim Reisen

Schon die Planung ist ein Abenteuer. Barrieren wie zu enge Flure, Toilettentüren, Duschen und Treppen lassen einen Rollstuhlfahrer verzweifeln. Auch kann es passieren, dass man vor als „rollstuhlgerecht bezeichneten“ Häusern steht und aufgrund von Treppen nicht hinein kann.

So ähnlich war es vor vielen Jahren mit der neuen Barbie-Puppe Becky. Die Firma Mattel hat sie extra für behinderte Mädchen entwickelt. Sie wurde in einem pinkfarbenen Rollstuhl verkauft. Die Mädchen, die auch das Barbie-Traumhaus besaßen, mussten schnell feststellen, dass ihre kleine Freundin mit ihrem Rollstuhl nicht hineinpasst. Der Rollstuhl passte nicht durch die Türen.[1]

Zusammenfassung

Die spinale Muskelatrophie ist eine noch nicht endgültig erforschte genetische Krankheit. Daher ist sie medizinisch nicht heilbar. Hilfsmittel und Therapien können die Auswirkungen geringer halten. Mit der Krankheit kann man im sozialen Umfeld recht gut leben. Die Forschung hat in wenigen Jahren sehr viele Fortschritte gemacht, so dass die Hoffnung auf Verbesserung und gar Heilung der Krankheit sehr groß ist.


[1] vgl. Skandal im Barbie-Haus. Muskelreport Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V. Nr.3. August 1997

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