„Schau das Mädchen im Rollstuhl dort an, sie hat es sehr schwer“ – Über Menschen mit Behinderung als Teil eines Bühnenstücks

Ich habe lange überlegt, worüber ich zu den Blogger-Themen-Tagen „#EinfachSein Behinderungen, Medien und die Gesellschaft“ schreiben soll. Mal wieder ein paar Ämtergeschichten? Das erschien mir nicht außergewöhnlich genug. Es ist doch hinlänglich bekannt, dass Menschen mit Behinderung früher oder später und meistens für den Rest ihres Lebens auf das Wohlwollen ihrer Sachbearbeiter angewiesen sind. Über meine Ausbildungsplatzsuche? Das wiederum war mir zu speziell und ich wusste auch nicht, wie ich daraus einen ganzen Artikel schreiben sollte. Somit verwarf ich beide Ideen sofort wieder und grübelte weiter. Schließlich stellte ich mir die Frage, welche Themen eigentlich meinen Blog ausmachen und da nimmt ganz klar das Musical den größten Teil ein. So wurde der erste Funken für mein Thema geboren, doch was sollte ich damit nun machen?

Gerne hätte ich die Darstellung von Menschen mit Behinderung in dem ein oder anderen Musical für die Blogger-Themen-Tage genauer unter die Lupe genommen, ähnlich wie ich es bei dem Film „Inklusion“ damals gemacht habe. Doch schon stand ich mit meiner, wie ich bis dahin noch dachte, sehr raffinierten Idee vor dem nächsten großen Problem. Welche Rollen stellen überhaupt Menschen mit Behinderung dar? Nun ja, da ist zum Beispiel Nessarose mit ihrem Rollstuhl, die Schwester der grünen Hexe Elphaba aus Wicked. Sie wird eigentlich sehr klischeehaft gezeichnet und bedient mit recht kurzer Bühnenzeit direkt viele „Behindertenvorurteile“. Ihr Vater umsorgt sie überfürsorglich, sie ist anfangs immer allein auf dem Schulhof und liest und die Einladung zur Party bekommt sie nur aus Mitleid („Schau das Mädchen im Rollstuhl dort an, sie hat es sehr schwer. Ich find es nicht fair, wir geh‘n aus und sind froh, sie ist so… oh. Weißt du, wen ich bewundern würde? Einen, der zu ihr käm, der sie mit sich nähm.„). So entwickelt sie sich im Laufe des Stücks zur verbitterten, herrschsüchtigen Persönlichkeit und wird die Böse Hexe des Ostens. Als dann ihre Schwester sie um Hilfe bittet, macht sie Elphaba Vorwürfe, dass diese ihre Zauberkräfte erst einmal dafür einsetzen solle, dass sie laufen kann („Mein Leben lang hing ich ab von dir, frag mich wer das erträgt? Mein Leben lang hing ich ab von dir und dem Scheißding, das mich bewegt. Nach Mitleid heischend, hoffte ich weinend, nur dass sich mein Bein endlich regt.„). Eigentlich mochte ich die Figur der Nessa immer sehr gerne, mittlerweile ist sie mir aber doch zu sehr mit Bitterkeit und Leid beladen und ich kann sie nicht mehr so mögen.

An dieser Stelle wäre ich dann eigentlich fertig mit meinem Beitrag. Das Phantom der Oper oder den Glöckner von Notre Dame klammere ich aus. Zum einen kenne ich die Stücke nicht gut genug, zum anderen, was für mich noch wichtiger ist, sind sie mir nicht „behindert genug“ in dem Sinne, dass die heutige Gesellschaft sie mit ihren Fehlbildungen wohl doch relativ gut aufnehmen würde. Und jetzt komme ich zu dem, was ich mit meinem Beitrag eigentlich sagen möchte: Warum gibt es nicht hier und da mal eine behinderte Rolle in einem Musical? Dabei muss es sich für mich nicht einmal um eine Hauptrolle handeln, auch wenn ich bei Romeo und Julia eine Julia im Rollstuhl sehr cool fände, allerdings müsste das Stück dann aus dem historischen Kontext gehoben werden, da es sonst reichlich unrealistisch und lächerlich wäre. Es muss auch nicht die Behinderung zu einem zentralen Thema im Stück werden. Aber wäre es nicht schön, wenn zum Beispiel eine von Sophies Freundinnen aus Mamma Mia! eine Behinderung hätte? Sie könnte ohne leidend zu sein im Rollstuhl sitzen oder vielleicht gehörlos sein, dann könnte man sogar Gebärdensprache in die Choreographien einbauen.

Ich finde, auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft ist es wichtig, dass von Kunst, Unterhaltung und Medien ein Bild von Inklusion gezeichnet und vermittelt wird. Das fängt damit an, dass Menschen mit Behinderungen bei Geschichten, die in der heutigen Zeit spielen, dazu gehören. Und es würde damit aufhören, dass solche Rollen auch von „echten“ Menschen mit Behinderung gespielt werden. Aber bis dahin ist der Weg wohl noch sehr lang.

8 Kommentare

  1. Das ist eine interessante Frage. Falls wir es jemals schreiben, sollten wir einen Menschen mit Behinderung in unser Musical einbauen ;D

  2. Ich hoffe sehr, dass wir irgendwann mal dahin kommen, dass es vollkommen „normal“ ist, dass auch Menschen mit Behinderung bei sowas eingebaut werden. Und eben nicht in dem Kontext, es geht mir schlecht oder alles dreht sich darum, sondern eben einfach eine ganz normale Rolle. Wäre mal was.. aber das die heutigen Stücke noch insofern umgeändert werden ist eh utopisch.
    Aber ich bin gerade mit meinen Gedanken schon total tief beim Glöckner 😀 hast mich da jetzt irgendwie voll reingebracht. Weil das Stück wirft (also, ich kenn den Disneyfilm) ja spezifisch auf die äußerlichen Vorurteile ein Licht und das eine äußerliche Behinderung nicht heißen muss, dass auch eine geistige dahintersteckt.

    Bitte verzeih mir, falls ich jetzt irgendwas falsch „gesagt“ habe, also.. so vom Ausdruck her, ich lern das noch 😀

    1. Bei mir gibt es nichts falsch zu sagen. Ich finde nämlich diese ganze „Political Correctness“ total übertrieben und halte das ganze Getue für eine Farce. Mal ehrlich, ob ich jetzt ein Mensch mit Behinderung oder eine Behinderte bin, ändert nichts an meiner Situation und eigentlich sollte es doch selbstverständlich sein, dass ich ein Mensch bin, also warum extra darauf hinweisen?

  3. Oh danke Melly! Ich finde das auch immer etwas übertrieben, wenn man soo wahnsinnig vorsichtig mit den Begriffen sein muss. Das macht einen nämlich viel unsicherer, wenn man dreimal darüber nachdenken muss, ob man das jetzt so sagen darf oder nicht. Und die Betroffenen stört es meistens selbst ja am allerwenigsten.

    Und zu FREAKS! – klar, am besten eine der verrückten Musicalfreundinnen 😉

    1. Ja, genau! Wenn die Leute erstmal darüber nachdenken müssen, wie sie sich überhaupt ausdrücken „dürfen“, entscheiden sich doch viele dazu, lieber einfach gar nichts zu sagen. Das kann doch nicht das Ziel sein. Konsequente Inklusion würde bedeuten, dass man gar keinen Ausdruck mehr braucht, weil behindert genauso normal ist wie braunhaarig.

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